Freitag, 23. Oktober 2015

Erinnerungsfetzen I - Spieleparadies im Möbelhaus

Da mein Blog ja gleichzeitig so etwas wie mein Erinnerungsalbum ist, will ich in unregelmäßigen Abständen einige Erinnerungsfetzen niederschreiben. Manche Erlebnisse haben sich so ins Gehirn eingebrannt, dass ich sie mir einfach auch hier bewahren will. Vielleicht kann ich die Bilder aus meinem Kopf dadurch irgendwie festhalten.

Seit wir Kinder haben, fieberten wir dem Tag entgegen, an dem wir den Großen mal ins Spieleparadies in einem großen Möbelhaus geben konnten. 3 Jahre alt musste er dafür werden und kurz nach seinem 3. Geburtstag, um genau zu sein 11 Tage danach, am 17. März 2014, fuhren wir an einem Regennachmittag nach der Kita ins besagte, nicht weit entfernte Möbelhaus (nicht Ikea!) und machten den Großen schon im Auto neugierig. Es war auch komplett leer, als wir ankamen, also optimale Voraussetzungen. Er zeigte sich interessiert und wir meldeten ihn am Eingang an. Der erste Schock für mich war, dass kein Elternteil mit hinein durfte. Ich versuchte noch mit der Dame am Eingang zu feilschen, da er ja gerade erst 3 geworden ist und noch nie dort war, aber es war nichts zu machen. Wir mussten mit der 10 Monate alten Kleinen draußen bleiben. Dabei wollten wir gar nicht in Ruhe einkaufen gehen, sondern ihm einfach eine neue Erfahrung und Herausforderung bieten, ihn dabei aber selbstverständlich begleiten. Sicherlich gibt es Dreijährige, die sich problemlos in einer fremden Umgebung abgeben lassen. Aber dazu gehörte unser Großer nie und das muss er auch nicht.

Wir standen also in der Eingangstür, ermutigten ihn und hielten Blickkontakt zu ihm, dessen er sich auch immer wieder vergewisserte. Er ging vorsichtig ein paar Schritte, traute sich aber erstmal nicht so richtig, ins Bällebad zu hüpfen. Er wollte gern, das sah man und hätte sich mit einem von uns zusammen auch gewagt, aber allein war es schwierig. Er sah so klein und verloren aus. Das Bild habe ich bis heute vor Augen und ich sehe ihn vor mir, wie er mit sich kämpft, uns mit großen Augen anschaut und nicht genau weiß, was er machen soll. Es lag soviel in diesem Blick, ein wenig Angst, weil er allein war, aber auch der Wille, die Herausforderung anzunehmen, Vertrauen zu uns und Rückversicherung. Wir gingen dann ein Stück zur Seite und sahen ihm durch eine Glaswand zu, wie er sich Schritt für Schritt durch die Bälle zum Kletterschiff vortastete. Dort angelangt, schaute er sich alles an und überlegte wohl, was er ausprobieren könnte. Hätte er Ruhe und Muße gehabt, hätte er sich sicherlich langsam getraut, zu klettern. Leider kamen dann die ersten anderen Kinder hereingestürmt, und ich stellte mich wohlweislich wieder an den Eingang, um so nah wie möglich bei ihm zu sein. Er zog sich aus dem Bällebad zurück und beobachtete, was die anderen, größeren Kinder machten. Sein Unwohlsein stieg und ich sah, dass er nicht mehr lange aushalten würde. Es wurde immer wilder und lauter, bis er von einem größeren Jungen angerempelt wurde. Da war es natürlich aus. Er fing an zu weinen, ich winkte ihn zu mir und brauchte lange, um das aufgebrachte kleine Menschlein zu trösten. Es war alles zuviel gewesen, die erzwungene Trennung von uns direkt nach der Kita, sein zusammengekratzter Mut und dann der Rückschlag. Er zitterte richtig am ganzen Körper. Ich konnte ihn aus tiefstem Inneren verstehen und gab alles, was ich geben konnte, um ihn aufzufangen. Langsam beruhigte er sich und der weitere Nachmittag verlief ruhig und harmonisch.

An diesem Nachmittag habe ich gedacht, wie es wäre, wenn er Eltern hätte, die ihn abhärten und stählen wollen, die sagen "Stell dich doch nicht so an!", die einfach weggegangen wären und ihn alleingelassen hätten. Manche von euch werden sagen, vielleicht hätte er dann mehr Mut aufgebracht oder sich nicht von den lauten Kindern aus dem Konzept bringen lassen. Ich glaube das nicht und ich denke auch nicht, dass ihm das gutgetan hätte. Ich möchte ihn langsam an Herausforderungen heranführen und ihn nicht ins kalte Wasser schmeißen. Dafür ist er viel zu verletzlich. Ich habe mich in dieser Situation völlig im seelischen Einklang mit ihm gefühlt und gespürt, dass er exakt mein absolutes, vorwurfsloses Verständnis gebraucht hat. Und genau da habe ich auch gedacht, dass ich die richtige Mama für ihn bin, woran ich ja ab und zu zweifle. Das war so ein inniglicher Moment und mir kommen jedesmal die Tränen, wenn ich daran denke und das Bild vor mir sehe. Ein Erinnerungsfetzen, der sich eingebrannt hat aus einer Situation, wo unsere Seelen ganz tief und fest miteinander verbunden waren.

Ich habe übrigens am nächsten Tag eine Mail an das Möbelhaus geschrieben mit der Bitte, die strenge Regelung, dass keine Eltern mit ins Spieleparadies dürfen, doch zumindest bei den kleinsten Kindern etwas aufzulockern, aber leider nie eine Antwort erhalten.

Erinnerungsfetzen II
Erinnerungsfetzen III

4 Kommentare:

  1. Im vorletzten Absatz schreibst du über meine Eltern. "Stell dich nicht so an. Mach einfach!" Immer und immer wieder.

    Ich musste auch ein ganzes We bei der blöden Tochter meiner Patentante schlafen. Ob ich wollte oder nicht. Ich weiß noch, wie eine Nachbarsfreundin verwundert gesagt hat: "Meine Mutter würde mich nie dazu zwingen!" Das werde ich nie vergessen.

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    1. Ich bin selbst auch mit diesen Aussagen aufgewachsen und habe auch darunter gelitten. Deshalb achte ich immer darauf, so etwas nicht zu sagen. Ich finde es wirklich schlimm, wie wenig Einfühlungsvermögen manche Eltern haben.
      Liebe Grüße!

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  2. Ich danke Dir, daß Du solche Momente und Gedanken teilst. <3

    Alles Liebe,
    Steffi

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    1. Ja, es ist wie eine Therapie für mich. Und bewahrt vor dem Vergessen :)
      Liebe Grüße!

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